Gefälschte Gutscheine für Obdachlose, Berlin (Ostern 76)

Das grosse Fressen

Mit illegaler, militanter Praxis wird meistens die gezielte Herbeiführung von Sachschäden oder der direkte Angriff auf Repräsentanten des Systems assoziiert, leider geht dabei verloren, dass es auch andere, wichtige Formen der illegalen Praxis gibt, die die Eigentumsverhältnisse unmittelbar etwas in Frage stellen und das dies nicht unbedingt Banküberfälle sein müssen. Wir dokumentieren zwei Erklärungen der Revolutionären Zellen zu Aktionen die 1976/1977 in Berlin gelaufen sind und setzen damit unsere Reihe mit Texten zum militanten antagonistischen Widerstand in der BRD fort. Sunzi Bingfa

In Berliner Obdachlosenheimen wurden Ostern 1976 gefälschte Gutscheine für Sozialhilfeempfänger verteilt. Mindestens 180 bis 200 Familien machten von der Möglichkeit, sich für 100 DM mal was Ordentliches zum Essen zu kaufen, Gebrauch und tauschten die Gutscheine in Lebensmittelgeschäften und Supermärkten ein. Fatale Situation für die Behörden: einmal Gegessenes kann man schlecht zurückholen. Es war auch nicht möglich, die Obdachlosen haftbar zu machen, ohne dabei die elende Lage der Obdachlosen an die Öffentlichkeit zu bringen, für die die „Volksvertreter“ von SPD/ FDP/ CDU verantwortlich sind. Außerdem hätte man dann einem Kampfmittel zur Popularität verholfen, das neue Perspektiven im Kampf gegen Sozialabhängigkeit eröffnet (allerdings „erreichte“ man das auch durch warnende Ansagen im Radio). So blieb den Behörden nichts weiter übrig, als die Illegalität als Kampfmittel der Unterdrückten hinzunehmen. Die unten abgedruckte Erklärung der Gruppe, die diese Aktion durchführte, findet man mittlerweile auf Klebern in Obdachlosenheimen.

Erklärung zur Osteraktion in Berliner Obdachlosensiedlungen

Warum haben wir im Namen des Senators für Arbeit und Soziales in den Obdachlosenheimen Bestellzettel verteilt?

Nicht nur, damit sich die Leute im Obdachlosenheim einmal ein schönes Osterfest machen können, sondern weil wir dies für eine richtige politische Praxis halten. Wir sind der Meinung, daß wir durch diese Aktion den Obdachlosen das gegeben haben, was ihnen sowieso zusteht. Die Wirtschaft befindet sich zur Zeit angeblich in einer Krise. Die Profite der Unternehmer steigen jedoch ständig weiter. Vom Staat werden den Unternehmern Millionen hinterhergeschmissen. Diese Millionen sind den Arbeitern geklaut worden. Sie müssen immer mehr arbeiten, mehr zahlen für Miete […], Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und Lebensmittel. Gleichzeitig werden die Ausgaben des Staates für den sozialen Bereich gekürzt. Immer mehr Jugendliche und Erwachsenen werden arbeitslos. Viele müssen von Sozialhilfe leben. Sozialhilfeempfänger bekommen im Monat soviel Geld, wie ein Herr Schütz, Schmidt, Strauß,, Quandt, Flick, Springer und Co. an einem Abend versaufen. Viele Familien haben auch dann, wenn sie noch Arbeit haben, nicht mehr Geld zum Leben als Sozialhilfeempfänger.

Wir haben die Scheine auch gerade in Obdachlosenheimen verteilt, weil wir wissen, daß die Familien dort nicht nur wenig Geld haben, sondern auch noch unter Bedingungen leben, die die Kinder in die Sonderschulen, die Jugendlichen in die Kriminalität und Erwachsene in den Alkoholismus treiben. Für uns ist diese Aktion nur ein Anfang. Wir sind der Meinung – wie die Genossen in Italien, Frankreich und Südamerika – daß auch in der BRD den Armen das gegeben werden muß, was die Reichen ihnen nehmen, bis sie es sich selber holen.

Friede den Hütten, Krieg den Palästen!

Brandanschlag auf Staatsanwalt und Richter – Warum? (Mai 77) – Friede den Hütten, Krieg den Palästen

Ostern 76 konnte in Berliner Obdachlosenheimen endlich gefeiert werden. Mehrere Hundert Lebensmittelbestellscheine im Wert von je 100 DM waren […] verteilt worden. Hunderte von Arbeitslosen haben diese Gutscheine in Kaufhäusern und Lebensmittelgeschäften eingelöst. […]

„Terror auf leisen Sohlen“ (besonders gefährlich) jammerten Bullen und Springer Presse, aber es machte ihnen Schwierigkeiten, diese gelungene Aktion der „Fälscher“ zu verteufeln. Wo kein Terror ist, sagten sich die Bullen, muß man welchen machen: Sie ließen die Bewohner der Obdachlosenheime verhören, setzten sie massiv unter Druck. Aber keiner von ihnen hatte etwas gesehen oder gehört (sie fanden die Aktion nämlich gut).

Daraufhin sahen zwei Terroristen im Talar ihre Stunde gekommen: Staatsanwalt Fackelday und Richter Rautenberg griffen zwei Obdachlose heraus und brummten ihnen Geldstrafen von 800,DM (ersatzweise Haft!!) auf. Beide Rechtsverdreher haben wahrscheinlich noch nie ein Obdachlosenheim von außen gesehen – sie wohnen in schönen Häusern mit Garten in Zehlendorf und Rudow. Dazu gehört auch ihr dickes Auto. Dieses Auto haben wir ihnen heute flambiert (ein Audi 100 und ein Volvo) als Antwort auf den Staatsterror. […]

Krieg den Palästen!