Konsequenz und Würde: Zum Hungerstreik von Dimitris Koufontinas

Ein Bericht aus Athen

Nach der Verschleppung (wir berichteten) des politischen Gefangenen Dimitris Koufontinas inmitten der Pandemie aus dem sogenannten “Farm-Gefängnis” Kassevetia Volos (bei landwirtschaftlicher Arbeit wird ein Tag Haft wie zwei berechnet) in den Hochsicherheitsknast Domokos, hat der Genosse am 8. Januar einen Hungerstreik begonnen. Er fordert damit seine Verlegung nach Korydallos nahe Piräus, der Knast in dem er 16 von 18 Jahren seiner bisherigen Haftzeit abgesessen hat.

Hintergrund ist, dass genau dies der rechtliche Grundlage entspricht, aufgrund derer die Regierung Koufontinas einen Tag nach Verabschiedung des Gesetzes hat ‚verlegen‘ lassen. Das sogenannte ‚Lex Koufontinas‘ besagt, dass wegen Terrorismus verurteilten Häftlinge aus Gefängnissen mit “weniger desaströsen” Zuständen in den Knast rückgeführt werden müssen, aus dem sie einst überstellt wurden. (Während die Strafprozeßordnung eigentlich festlegt, dass Gefangene möglichst in “räumlichen Nähe “zu ihren Familie bzw ihrem Sozialisierungsmittelpunkt eingesperrt werden müssen.)

Dies ist offensichtlicher Teil einer legalistischen Vendetta der Regierung unter freudiger Kenntnisnahme der amerikanischen Botschaft, die schon immer mit ihrem Druck zur Entrechtung Koufontinas beigetragen hat, beispielsweise wenn ihm immer wieder das Recht vorenthalten wurde, alle zwei Monate im Freigang seine Familie zu sehen.

Wir dokumentieren hier zunächst seine Erklärung zum Hungerstreik in einer überarbeiteten Version der auf de.indymedia.org veröffentlichten Übersetzung:

Erklärung zum Beginn des Hungerstreiks von Dimitris Koufontinas

Das Dokument des Ministeriums, welches mir gestern zugänglich wurde, enthüllt dessen beispiellose Strategie mir gegenüber. Anderthalb Stunden dauerte mein Transfer von Kassavetia nach Domokos, wohin und auch wie es der Familien-Clan (Mitsotakis – Bakogiannis Dynastie, die Nea Demokratia anführen) verlangte. Nun scheint es so, dass ich dabei auch noch nach Korydallos verlegt wurde, um zu zeigen, dass eingehalten wurde, was das reproduzierte Gesetz über die “landwirtschaftlichen Gefängnisse” vorschreibt, welches sie gemacht hatten, um mich von dort zu entfernen. Eine komplette Demütigung der Rechtsstaatlichkeit, in dessen Namen sie sprechen, ein völliges Zerreißen ihrer eigenen Gesetze. Dies ist jedoch nicht nur eine Methode zur Ausrottung eines politischen Gefangenen. Nicht einfach nur eine Liebkosung der rechtsextremen Tendenz einer zunehmend rechtsextremen Regierung. Es ist der Versuch einen Menschen zu vernichten. Nicht für das, was er ist, sondern auch für das, was er symbolisiert, indem er sich weigert dem unerträglichen Druck zu erliegen, den das System auf ihn ausübt, wie vor kurzem Vertreter der Familie und der Ausgewählte der (amerikanischen) Botschaft betonten.

Nach all dem was offensichtlich passiert ist und all dem was zynischerweise im Krieg gegen mich enthüllt wurde, ist der Hungerstreik nun eine Frage persönlicher Konsequenz und individueller Würde.Da sie auf dieses Gesetz bestehen, das sie so provokativ ausgearbeitet haben, müssen sie es nun auch anwenden, wenigstens dieses. Und mich wieder in den Keller von Korydallos zurückbringen, in den Sonderflügel, den der Repressionsminister Chrisochoidis selbst geschaffen hat, um den 17. November zu begraben und wo ich bereits 16 der 18 Jahre, die ich im Gefängnis bin, verbracht habe.

Dimitris Koufontinas, Gefängnis von Domokos – 8. Januar 2021

Koufontinas wurde wegen seines schlechten Gesundheitszustandes (aufgrund vorhergehender Hungerstreiks und seines gehobenen Alters) und gegen seine Willen in ein Krankenhaus gebracht. Er verweigerte jedoch jegliche medizinische Unterstützung und ist schließlich auf ebenso mysteriöse Weise (Beschluss der Cops, ohne richterliche Anordnung) wieder nach Domokos rückgeführt worden. Zur solidarischen Verstärkung sind vier eingesperrte Anarchisten ebenfalls in den Hungerstreik getreten. Nikos Maziotis und Giannis Dimitrakis, die wegen Raub und Beteiligung in angeblich terroristischen Vereinigungen verurteilt sind und ebenfalls in Domokos einsitzen (Infos dazu).

Sowie die Untersuchungshäftlinge Polykarpos Georgiadis und Vangelis Stathopoulos, gegen die ebenfalls wegen angeblichen Terrorismusvorwürfen ermittelt wird. Für Dienstag, den 19. Januar hatte vorwiegend anarchistische Zusammenhänge zu einem Aktionstag mobilisiert, der aber vergleichsweise bescheiden verlief. In Athen wurde der Treffpunkt erneut weiträumig von den Bullen abgeriegelt und Genoss*innen wie Passant*innen unter Androhung des 300€ Bußgeldes wegen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit vertrieben.

In Patras haben die Bullen eine Solidaritätsaktion massiv angegriffen und Genoss*innen selbst innerhalb von Gebäuden mit Chemikalien eingedeckt, dabei kam es zu zwei Festnahmen.

Zahlreiche Bannerdrops sowie kleinere Versammlungen, Demos und Aktionen in vielen Städten konnten jedoch eine gewisse Aufmerksamkeit in den Medien und sozialen Netzwerken erzeugen. Zuletzt haben 68 Akademikerinnen einen Appell veröffentlicht: „Wir, die Universitätsprofessoren, die diesen Text unterzeichnen, glauben, dass die Rechtsstaatlichkeit nicht von Fall zu Fall gelten kann. Wir weisen darauf hin, dass Gerechtigkeit unpersönlich sein muss und dass die Gesetze für alle gelten müssen, unabhängig von den Verbrechen, die sie begangen haben. Wir verteidigen die Rechte der Gefangenen und erinnern daran, dass das Ziel des Strafvollzugssystems nicht darin besteht, den Gefangenen auszurotten. Wir bitten um die sofortige Erfüllung der fairen Bitte von D. Koufontinas um seine Überstellung in das Korydallos-Gefängnis.“

Am heutigen Montag, den 25. Januar, befindet sich Koufontinas seit 17 Tagen im Hungerstreik. Zur gesundheitlichen Situation gibt es keine aktuellen Verlautbarungen, Folgeschäden scheinen aber unausweichlich. Dieses letzte Mittel eines Gefangenen zur politischen Aktion, welches die Unversehrtheit des eigenen Körpers (bis hin zum Tod) der Bewahrung der Würde unterordnet, bekräftigt die unbeugsame Haltung, welche Revolutionär*innen von Aktivist*tinnen unterscheidet. Hungerstreik wie auch “Märtyrertum” sind nicht Zweck sondern Mittel, das eigene Wertesystem mit aller Entschiedenheit der herrschenden Unterdrückung und Ausbeutung entgegenzusetzen. Die Überwindung des Egos, um den Nachfolgenden die Tür für eine andere Perspektive offen zu halten. Eine unbeugsame Haltung.