Häuserkampf in den Niederlanden: Der Kampf um die Vondelstraße und die ‘Krönungsrevolte’ auf Tour durch Europa [Teil 3]

Riot Turtle

Die Militanz der Amsterdamer Hausbesetzerbewegung hatte 1980 auch außerhalb der Niederlande Auswirkungen. Die Bilder von Panzern und militanten Auseinandersetzungen haben in Westeuropa großen Eindruck hinterlassen, mit dem Ergebnis, dass Hausbesetzer aus Amsterdam nun gern gesehene Gäste bei ihren Genossen im Ausland sind. Sunzi Bingfa

Als der Sommer nahte, schwärmten die Amsterdamer Hausbesetzer durch ganz Europa aus. Als ich 1981 nach Amsterdam gezogen bin, bekam ich sehr schnell Kontakt mit Hausbesetzern aus dem Ausland. Einige waren regelmäßig in Amsterdam, anderen wohnten mittlerweile dort. Ich war aber auch selbst oft unterwegs, ich fühlte mich immer sehr wohl im Baskenland. Dort hatten die Anarchisten es nicht einfach, sie wurden immer wieder aufgerieben zwischen spanischen und baskischen Nationalisten, wobei viele Anarchisten dort eine kritische Solidarität mit den bewaffneten Kampf der ETA pflegten. Dies hat vor allem damit etwas zu tun das die ETA mit ihrer „Operation Ungeheuer“ am 20. Dezember 1973 Regierungschef Luis Carrero Blanco in die Luft gejagt hatte, der hochdekorierte Admiral sollte Francos Nachfolger werden. Das Franco-Regime sollte sich von diesem Schlag nie mehr erholen. Die ETA hatte beim Beenden der Franco Diktatur eine wichtige Rolle gespielt und so war es überhaupt möglich geworden im Baskenland Häuser zu besetzen. Sich in einem so spannungsreichen Gebiet wie dem Baskenland zu bewegen, bedeutete für mich vor allem lernen, viel lernen. Diese ‚offline‘ Vernetzung hält bis heute an. Das Lernen auch.

So feierte das Organ der „Eta Militar“ das Attentat auf Carrero Blanco vom 20. 12. 1973.

Aber zurück nach Amsterdam im Jahre 1980. Dort verschärften sich die Konflikte um die besetzte Häuser nach dem 30. April 1980 weiter. Obwohl es im Hintergrund Bewegung in der Frage der Legalisierung der von den Hausbesetzern geschaffenen Wohnräume für Jugendliche gab, wurde der Kampf auf der Straße selber immer härter geführt.

Am 31. Mai besetzen einige Bewohner der ‚Große Kaiserein neues Gebäude. Nach monatelangem Leben in ständiger Anspannung hinter Stahlplatten und Sandsäcken wollen sie es etwas ruhiger angehen. Sie wählen ein großes leerstehendes Gebäude, das sich von der Singel 370 bis zur Herengracht 329 erstreckt, den ‚Vogelstruys‘. Doch schon bald müssen sie alle Register ziehen, um gegen eine privaten Schlägerbande zu bestehen, und schon schnell müssen sie sich wieder mit einer drohender Räumung auseinandersetzen.

Der Eigentümer, ein zwielichtiger Immobilienhändler, lässt sich von den Behörden die Räumlichkeiten wegen Hausfriedensbruch leer zurückgeben. Am Morgen des 3. Juli wird das Gebäude durch Bereitschaftsbullen geräumt. Aber das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte. Noch am selben Nachmittag stürmen Aktivisten das Gebäude, setzen die Strohmänner des Eigentümers auf die Straße und besetzen den Vogelstruys erneut. Kurz darauf räumen die Bullen das Gebäudekomplex zum zweiten Mal. Auf den Grachten werden die Bullen mit einem Steinhagel bombardiert, aber einige Bullen werfen auch mit Steinen zurück, andere steuern ihre Wannen wie wilde Stiere in die Menge. Es gibt viele Verletzte auf beiden Seiten. Sechs Menschen werden verhaftet, und ihre Gerichtsverhandlung führen Monate später zu einem dritten Kapitel bezüglich des Vogelstruys.

Zuerst kommt es aber noch zu Auseinandersetzungen um die im April besetzten Luxus-Apartments auf der Prins Hendrik Kade. In August wurde klar das auch die geräumt werden sollen. Die Vorbereitung auf die Räumung ist chaotisch. Anders als in der Große Kaiser und der Vondelstraße gibt es diesmal keine straffe Organisation durch eine kleine aber feine Gruppe von ‚Besetzerbonzen‘. Nach der Besetzung war es nicht einfach sie raus zu halten, aber Theo & Co waren durch ihre autoritäre Art nicht überall gerne gesehen.

Auch ich hab immer zugesehen, das unsere eigene selbsternannten Chefs möglichst wenig Einfluss hatten bei Projekte bei denen ich involviert war. Die Besetzer der Prins Hendrik Kade beschließen, das Gebäude zu verbarrikadieren es und mit einem Innen- und einem Außenteam zu verteidigen, so wie sie es bei der Kaiser getan haben, aber diesmal es gelingt ihnen nicht, Hausbesetzer Gruppen in andere Stadtteile zu mobilisieren.

In den Reihen der Hausbesetzer wachsen die Zweifel, über den Sinn einer erneute militante Auseinandersetzung, die zu weitere Verletzten und Verhaftungen führen wird.

In einer niederländischen Zeitung wird ein Artikel veröffentlicht, der Fotos des Dachs eines der besetzten Häuser voller Wurfgeschosse zeigt, darunter auch Kühlschränke. „Bereit zum Kampf“ lautet die Schlagzeile des Artikels. Aufgrund der fehlenden Unterstützung durch andere Hausbesetzer Gruppen wird immer deutlicher, dass der ursprüngliche Schlachtplan nicht durchführbar ist. Doch aus der Not wird eine Tugend gemacht und ein Alternativplan entwickelt: Die Trickkiste wird geöffnet.

Am Tag der Räumung wird in Amsterdam eine riesige Streitmacht versammelt. Zweitausend Bullen sollen die Luxuswohnungen zurückzuerobern. Mehrere mobile Kräne werden eingesetzt, um mit Bullen gefüllten Containern auf dem Dach des besetzten Komplexes abzusetzen. An einem der Kranarme baumelt ein kleinen Container, von dem aus eine Gruppe von Scharfschützen das Dach im Auge behält.

Als der Angriff gestartet wird, erscheint Hausbesetzer Moos an einem der Fenster mit einem Megaphon, der in einer Erklärung den erstaunten Behörden mitteilt, dass alle Hausbesetzer außer ihm das Gebäude längst verlassen haben und dass angesichts einer so großen Streitmacht von seiner Seite auf eine militante Auseinandersetzung verzichtet wird. Moos ist von einer großen Gruppe Presseleute umgeben, die seine Worte bis in die letzten Winkel des Landes widerhallen lassen. Zweitausend Bullen für einen einzigen Hausbesetzer. Das ganze Land lacht die Bullen aus. Der Pfarrers der benachbarten Nicolaaskirche hat bei die Aktion mitgeholfen. Kurz vor der Räumung bot er den Hausbesetzern einen Fluchtweg über einen Geheimgang an, und brachte sie im Pfarrhaus unter.

Räumung der Prins Hendrik Kade am 19. August, 1980.

Doch nicht jeder ist mit der friedlichen Botschaft einverstanden, die aus der Prins Hendrik Kade verkündet wird. Als Theomerkt, dass die Hausbesetzer der Prins Hendrik Kade auf eine gewaltfreie Räumung zusteuern, ergreift er das Mikrofon von Radio der freie Kaiser und ruft zum Widerstand auf. Sein Aufruf trägt dann zum Ausbruch von militanten Auseinandersetzungen vor dem geräumten Gebäude bei. Die Bullen räumen am gleichen Tag noch ein besetztes Objekt in der Huidenstraße. Diese zweite Räumung des Tages kommt völlig überraschend. Da der Gebäudekomplex gleich um die Ecke von der Große Kaiser liegt verbreiten sich schnell Gerüchte, dass auch diese sechs Gebäude dran seien. Als die Nachrichten das Schlachtfeld an der Prins Hendrik Kade erreichen, eilen die Besetzer zurück zum Große Kaiser. Im Handumdrehen werden auf den Grachten Barrikaden errichtet. Um die Gemüter zu beruhigen, bestätigen die Bullen dann den Hausbesetzern schwarz auf weiß, dass der Große Kaiser an diesem Tag in Ruhe gelassen wird.

Der Riss zwischen den ‚Bonzen‘ und anderen Teile der Bewegung wird nach Theo’s Aufruf für die Prins Hendrik Kade noch ein Stück breiter. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Strategie, sondern auch um den ‚Führungsanspruch‘ von Theo und einigen andere Menschen. Selbst einem Jahr nach der Räumung bekam ich immer wieder Diskussionen über diese Aktion von Theo mit und man merkte schnell dass die Meinungen dazu sehr weit auseinander gingen. In den Diskussion geht es immer wieder um die Strategie der Bewegung im Allgemeinen, aber auch darüber inwieweit einzelne besetzte Häuser selbst entscheiden können und sollen wie sie den Widerstand gegen eine Räumung gestalten. Es gab Menschen die den Aufruf von Theo für notwendig hielten, andere waren der Meinung das er übergriffig war. Als Neuling bekam ich also schon sehr schnell mit das es alles nicht so einfach werden wird mit der Revolution.

Am 8. September 1980 findet die Gerichtsverhandlung gegen die Verhafteten statt, die nach der Räumung der Vogelstruys sechs Wochen in Untersuchungshaft verbracht haben. Am Vorabend der Gerichtsverhandlung wird die Vogelstruys zum dritten Mal besetzt, die am nächsten Tag von Bereitschaftsbullen sofort wieder geräumt wird. Als Reaktion werden auf dem Rokin Barrikaden errichtet und in Brand gesetzt, Schaufenster werden eingeschlagen und einige Läden werden geplündert. Ein Teil der Bewegung widmet sich der Strategie des maximalen Sachschadens. Die Kosten der Räumung müssen so hoch geschraubt werden, dass Räumungen dem Staat schlichtweg zu teuer werden.

Die Situation um das wichtigste Symbol der Hausbesetzerbewegung, der Große Kaiser, ist immer noch nicht endgültig gelöst. Die Regierung in Den Haag verstärkte den Druck auf die Stadtverwaltung, der Große Kaiser zu räumen. Am 13. Oktober lassen Innenminister Wiegel und Ministerpräsident Van Agt zwei Kampfjets im Tiefflug über den Große Kaiser fliegen, um Infrarotaufnahmen zu machen. In Amsterdam ist den Kommunalpolitiker aber klar, dass eine Räumung von der Große Kaiser eine regelrechte Kriegserklärung an die Hausbesetzerbewegung wäre. Eine Intervention würde nicht nur zu Unruhen führen, sondern auch die Beziehungen zu den Aktivisten in der Stadt würden auf Jahre hinaus gestört werden. Die Stadt bevorzugt ein andere Lösung. Die Stadt kauft der Große Kaiser und bietet Verhandlungen über die Legalisierung des besetzten Haus an. Die politischen und materiellen Schäden bei den letzten Räumungen waren dermaßen hoch, dass die Stadt über die Legalisierung von vielen besetzten Häuser den Konflikt zu befrieden versucht. Gleichzeitig nehmen aber auch Repression und Bullengewalt in anderen Städten der Niederlande zu.

Ende 1980 zeichnen sich in die Pierson Straße in Nijmegen die Konturen eines neuen Konflikts zwischen Hausbesetzern und der dortigen Stadtverwaltung ab. Dieser Konflikt führt dann 1981 zum zweiten Einsatz der holländische Armee gegen die Bewegung. Aber davon erzähle ich in der nächste Ausgabe der Sunzi Bingfa mehr.

Auf der Barrikade: ein Anwohner unter den Besetzern hinter einer der Barrikaden im „Freistaat Einhorn“, wie das Gebiet um die Pierson Straße genannt wurde.