Aktionen der Revolutionären Zellen zum 1. Mai 1975

An den Vorabenden des 1. Mai 1975 kommt es in mehreren Städten zu Anschlägen der Revolutionären Zellen. Die erste Ausgabe der Zeitung der RZ, “Revolutionärer Zorn” erscheint, und wird in diversen Städten verteilt und ausgelegt. Ziele der RZ sind die Ausländerpolizei in Westberlin, das Gebäude der Landesvertretungen von BDI, BDA, IHK in Mainz sowie das Gebäude der IHK in Ludwigshafen. In der Zeitung wird eine Erklärung zu den Aktionen veröffentlicht:

Die Kapitalistenverbände sind verantwortlich für die Krisen, die dieses Scheißsystem in immer kürzeren Abständen produziert. Mit verantwortlich meinen wir, daß die Großen diese Krisen benutzen, um sich gesund zu stoßen, wie z.B. die Ölkonzerne, die Banken, die Automobilindustrie. Wo der eine sich gesund stößt, muß der andere dafür bezahlen. Bezahlen müssen immer wir, die Jugendlichen, die Arbeiter und Angestellten, die Frauen, die Ausländer, die Tante Emmas in ihren Lädchen. Bezahlen sollen wir das Chaos, das dieses profitgierige, menschenverachtende Bonzenpack anrichtet. Bezahlen nicht nur mit immer weniger Geld im Geldbeutel, mit immer höheren Preisen, sondern vor allem mit Existenzangst.

Denn Angst macht gefügig, Angst bricht einem das Kreuz, Angst soll den Willen zum Widerstand im Keim ersticken: viele fangen dann an, das Maul zu halten, fangen an, auf die Ausländer zu schimpfen, feiern weniger krank, kommen pünktlicher, arbeiten mehr und hoffen, daß es andere trifft.

Sie wollen uns das Kreuz brechen, indem sie uns zwingen, um unsere Arbeit zu zittern. Und wir zittern nicht, weil wir diese Arbeit so schön finden, weil wir es ohne sie nicht aushalten können, sondern weil man uns nichts als unsere Arbeitskraft gelassen hat.

Arbeit in diesem Scheißsystem jedoch ehrt nicht, sondern macht einen körperlich und seelisch fertig, macht häßlich, macht alt, läßt einen verblöden, lässt Fähigkeiten verkümmern.

Die Jungen sind nicht gegen die Alten, sondern gegen das, was sie alt gemacht hat.’ sagte ein Renault- Arbeiter.

Und mit Gesetzen und Paragraphen, die auf uns zugeschnitten sind, nehmen sie uns alle Möglichkeiten, über uns selbst zu bestimmen, ob es die Sondergesetze für Ausländer sind, der § 218, um uns Frauen unter ihren Willen zu zwingen oder die zahllosen Gesetze, die jede wirksame Form von Widerstand unterbinden und uns zu Kriminellen machen sollen, wenn wir unsere Fabrik besetzen, wenn wir gegen die umweltverseuchenden Kernkraftwerke kämpfen. Um gerade die ausländischen Arbeiter zu unterdrücken, die ins Land geholt und wieder davongejagt werden, wie es jeweils in die Pläne der Kapitalisten Bande paßt und die noch am stärksten erkennen, daß wir hier unten zusammengehören und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen dürfen, ist für sie die Extraeinrichtung Ausländerpolizei geschaffen worden, die erpreßt und bespitzelt und über den Weg der Ausweisung ausländische Arbeiter und Studenten oft genug in die Gefängnisse und KZ’s ihrer Heimatländer bringt. Die Ausländerpolizei ist direktes Unterdrückungsorgan, ist die erste Form einer eigenen Bullen Gruppe gegen Arbeiter.

Anfang des Jahres versuchte die Wirtschaftsmafia von BDI, BDA, DIHT (als Zentralverband der IHK), Zentralverband des deutschen Handwerks und Hauptverband des deutschen Einzelhandels, die Jugendlichen zu Kreuze kriechen zu lassen und der Lehrlingsbewegung nachträglich den Zahn zu ziehen. Nachdem sie zuerst eine halbe Million jugendlicher Arbeitsloser produziert hatten, boten sie die Neuschaffung von 150.000 Lehrstellen an, die an zahlreiche Bedingungen geknüpft ist. Und finanziert werden soll das Ganze noch aus unseren Steuergeldern! Wir sollen noch dafür bezahlen, daß sie 15jährige für sich arbeiten lassen, daß 15jährigen eingebleut wird: Arbeite, halt’s Maul und sei dankbar dafür!

Wir haben die Anschläge zum 1. Mai gemacht, weil es der Kampftag der Arbeiterklasse ist. Zum Tag „der Arbeit“ hat ihn erst der Faschist Hitler gemacht. Und die Gewerkschaften haben nach 1945 diese Namens- und Sinnänderung beibehalten.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist die Geschichte des Kampfes gegen diese Arbeit mit allen Mitteln, mit Krankfeiern, mit Langsam Arbeiten, mit kleinen und großen Streiks, mit Demonstrationen, mit Fabrikbesetzungen, mit Barrikaden, Sabotage, bewaffneten Aktionen.

Widerstand auf allen Ebenen, in allen Bereichen, mit allen Mitteln, die wir haben, ist die einzige Möglichkeit für uns, Menschen zu bleiben, Menschen zu werden.

Die Genossen, die in Stockholm die deutsche Botschaft besetzten, um die politischen Gefangenen in der BRD zu befreien, schlossen ihre Erklärung auch mit diesem Satz: ‘Wir werden Menschen sein.’“

Anmerkung Sunzi Bingfa: Fast sämtliche Texte der RZ wurden Mitte der 90er in zwei Sammelbänden herausgegeben: ‘Die Früchte des Zorns’. Die beiden Bände wurden später auch online gestellt:

https://www.nadir.org/nadir/initiativ/id-verlag/BuchTexte/Zorn/Zorn00.html