Enteignung und das Recht auf Leben [Part II]

In Part I veröffentlichten wir eine Kurzbiographie und einen Text von Clément Duval. Wir haben für diese Ausgabe von Sunzi Bingfa Auszüge über Illegalismus, über und von Alexandre Marius Jacob (1879-1954) aus Disruptive Elements übersetzt. Sunzi Bingfa

Alexandre Marius Jacob (1879-1954) war ein französischer Matrose, anarchistischer Aufwiegler und Einbrecher. Versucht zeitlebens durch hunderte Einbrüche («Arbeiter der Nacht») die anarchistische Sache zu fördern. Er verbrachte 20 Jahre in der Strafkolonie Guyana, bis ihn nach dem 1. Weltkrieg eine Generalamnestie wieder nach Frankreich brachte. Schwer krank entscheidet er sich, als er 75 Jahre alt ist, für den Freitod.

J’ai cosse. Excusez.

Der 1879 geborene Alexandré-Marius Jacob leidet sehr unter seinem, dem Absinth verfallenen Vater. Dieser ist „nur“ Angestellter der Bäckerei seiner Ehefrau, seine gekränkte „Männerehre“ rächt er, indem er seine Frau regelmäßig verprügelt. Marius hält zu seiner Mutter und schenkt seinem Vater zeitlebens Verachtung für dessen Verhalten. Einer Klosterschule samt Priesterseminar entgeht Marius zu seiner großen Erleichterung knapp, schließlich liest er viel lieber Jules Verne als die Bibel und interessiert sich für den Marseiller Hafen. So heuert er bereits mit 11 ½ Jahren als Schiffsjunge an, kommt um die Welt und schickt Geld nach Hause.

Auf seinem dritten Schiff wird er Opfer sexueller Übergriffe seitens der älteren Matrosen und entscheidet sich in Sydney zur Flucht. Nachdem er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt, wird er auf ein vermeintliches Walfangschiff aufgenommen, welches sich als Piratenschiff entpuppt. Da er sich bei der zweiten Kaperfahrt persönlich an dem Gemetzel beteiligen muss, entschließt er sich abermals zur Flucht. Acht Tage später wird das Piratenschiff von der Küstenwache dingfest gemacht und die komplette Besatzung kurzerhand erhängt. Ein englischer Frachter bringt Jacob nach Marseille zurück, wo er wegen Desertion angeklagt wird, den Richter aber von seiner Notlage überzeugen kann und freigesprochen wird. Er wird fortan zu einem vorbildlichen, abstinenten Matrosen bis 4 Jahre später, mit 17 Jahren, ein rätselhaftes Virus seine Matrosenlaufbahn beendet.

Stattdessen gewinnt er Zugang zu anarchistischen Kreisen und den klassischen anarchistischen Theoretikern, wobei er sich auch mit Max Stirner, dem Begründer des Individualanarchismus, vertraut macht und agitatorisch tätig wird. Der bekannte Anarchist Charles Malato, welcher zwar Bombenattentate ablehnt, aber dennoch für den Tag des großen Aufstandes ein Bombenbastellabor unterhält, leiht Marius ein „Rezeptbuch“. Ein als Anarchist getarnter Polizeispitzel schiebt ihm zur Aufbewahrung die Zutaten für eine ordentliche Bombe zu. Die Polizei findet sowohl die Zutaten als auch Malatos Handbuch und so wird Marius am 13.10.1897 zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Wieder in Freiheit findet er eine angewachsene anarchistische Bewegung vor, schmeißt Stinkbomben in Gottesdienste und beteiligt sich an Aktionen für den „aktiven Wahlboykott“. Er faltet ein stecknadelkopfgroßes Phosphor Stück in einen Wahlzettel und versenkt ihn in der Wahlurne, welche dadurch in Flammen aufgeht. Die Wohnung seiner Eltern wird regelmäßig durchsucht, kaum hat er eine Arbeit, taucht die Polizei beim Arbeitgeber auf und er verliert den Job wieder. Er verliebt sich in die Prostituierte Rose Roux, die seine Lebensgefährtin wird und zieht zu ihr, u.a. um sein Elternhaus vor Hausdurchsuchungen zu schützen. Ohne Erfolg. Marius erklärt darauf dieser Gesellschaft endgültig den Krieg und es folgen seine Lehrjahre als „Illegalist“.

Am 31.3.1899 beraubt er mit fünf als Polizisten getarnten Komplizen eine Marseiller Pfandleihe, setzt sich mit ihnen nach Spanien ab und unterstützt dort finanziell die von einer tobenden Repressionswelle betroffenen Genossen. Von nun an beginnt er seine Karriere als professioneller Einbrecher. In Spanien will er im Pilgerort Santiago de Compostela den aus 400 kg massivem Gold bestehenden „Heiligen Jakobus“ stehlen und einschmelzen, was an religiösen Vorbehalten örtlicher Sympathisanten scheitert. Er hört von seiner Verurteilung in Marseille zu fünf Jahren Gefängnis, entschließt sich dennoch zurückzukehren, überfällt auf dem Rückweg mit seinem Komplizen Frosatti ein Spielkasino in Monte Carlo, wobei dieser ihn um die Beute prellt und nach Italien flüchtet. Jacob verfolgt ihn dorthin. Wenig später ist Frosatti ermordet, ob Marius der Täter war, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. In Toulon verhaftet, spielt er den Geisteskranken mit Erfolg und flieht unter beratender Beihilfe eines gleich gesinnten Pflegers.

Wieder in Freiheit, eröffnet er eine Eisenwarenhandlung und spezialisiert sich auf den Verkauf von Geldschränken und Tresoren, um sich über alle gängigen Modelle zu informieren. Nach seinen anfänglichen Fehlern geht er nach und nach zum wissenschaftlichen Einbruch über, welcher auf einer präzisen Logistik und zuverlässigen Leuten beruhen soll. Außerdem legt er sich ein umfangreiches Verkleidungssortiment zu. Das Hauptaugenmerk der Einbrüche liegt auf Provinzstädten, vor allem sind südfranzösische Villen von Interesse. Jeder Beteiligte soll 10% seines Beuteanteils an „die Bewegung“ abgeben. Marius baut Kontakte zu Börsenmaklern auf, um erbeutete Wertpapiere zu verkaufen, Edelsteine werden an eingeweihte Diamantenhändler in Amsterdam abgeführt. Vor Gericht werden ihm später 150 Einbrüche nachgewiesen, in Wahrheit dürften es jedoch weit mehr gewesen sein.

Im Herbst 1901 begehen die „Travailleur de la nuit“ (Arbeiter der Nacht) ihren wohl bekanntesten Coup, als sie in Paris den „Geniestreich der rue Quincampoix“ durchführen. Im 4. Stock der Nummer 76 hat ein Juwelier seine Geschäftsräume. Man mietet die darüber liegende Wohnung im 5. Stock unter falschem Namen, bohrt ein kleines Loch in den Fußboden, steckt einen Regenschirm hindurch, öffnet diesen, damit bei der Vergrößerung des Loches der herunterfallende Schutt keinen Lärm macht, raubt Gegenstände im Wert von 330.000 Francs und verabschiedet sich freundlich beim Pförtner. Danach trennt sich die Gruppe aufgrund interner Streitereien über die Höhe des Privatanteils und der „Abfuhrsteuer“ an die anarchistische Bewegung.

Jacob eröffnet Antiquitätenläden, baut wieder ein Gesamtunternehmen von ca. 40 Leuten auf und raubt fleißig weiter – die Rückkehrer von der Strafinsel Guyana müssen versorgt werden. Eine Aktion in Abbeville verursacht unnötige Aufmerksamkeit und die Aktion muss abgebrochen werden. Am Bahnhof werden die Einbrecher von zwei Polizisten gestellt, welche niedergeschossen werden. Einer ist schwer verletzt, der andere tot. Nach einer Treibjagd ergibt sich Jacob widerstandslos. Zwei sich im Umfeld der Gruppe befindliche Frauen packen aus, eine davon wird daraufhin in ihrer Zelle vergiftet vorgefunden. Am 8. März 1905 herrscht Belagerungszustand in der nordfranzösischen Provinzstadt Amiens, die Staatsmacht steht mehreren tausend Menschen gegenüber um das Prozessgebäude abzuriegeln. Die „Bande von Abbeville“ steht wegen Polizistenmord und schwerem Diebstahl vor Gericht. Neben den 24 Angeklagten gibt es 158 geladene Zeugen. Aus dieser Verhandlung soll ein Schauprozess werden. Die Angeklagten verlesen ihre Kriegserklärungen gegen die bürgerliche Gesellschaft, Jacob betont redegewandt den Klassencharakter seiner Taten. Er wird mit acht weiteren Angeklagten vom Prozess ausgeschlossen und bekommt lebenslänglich auf der Strafkolonie Guyana, auch „Teufelsinsel“ genannt, und wird dort aufgrund seiner Hilfsbereitschaft und juristischen Kenntnisse zum „Anführer“ und Anwalt der Gefangenen. Die Bilanz seines 20-jährigen Aufenthalts: 9 Jahre Einzelhaft, 7 Sondergerichtsprozesse, 6 Freisprüche, 17 Fluchtversuche.

Er überlebt trotz enormer Unterernährung und der Ruhr. Freigelassen wird er nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden öffentlichen Kritik am System der Strafkolonien in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg, muss allerdings zunächst noch 2 Jahre Zuchthaus in Frankreich absitzen. Nach seiner Freilassung führt er ein Leben als fliegender Händler. 1936 will er die anarchistische Miliz im spanischen Bürgerkrieg mit Waffen versorgen, doch scheitern seine Bemühungen an fehlenden gleich gesinnten Kontaktpersonen. Während der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wird er wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einem Monat Gefängnis verurteilt, außerdem versteckt er verfolgte Résistancekämpfer. Im Rentenalter ist er vor allem im antimilitaristischen und individualistischen Flügel der anarchistischen Bewegung aktiv. Er schwört dem Illegalismus wegen der „Ungleichheit des Kampfes“ mit dem Kapitalismus als „Erziehungsmethode“ für die arbeitenden Massen ab.

Im Alter erkrankt er zunehmend und beschließt Selbstmord. Er hat ein letztes mal Sex mit der 30 Jahre jüngeren Frau eines Freundes, nachdem er vorher beide um Erlaubnis gefragt hat, gibt ein Bankett für die Kinder des Dorfes und vergiftet seinen ebenfalls altersschwachen Hund Negro und danach sich selbst am 28.8.1954 mit einer Überdosis Morphium.

Nachtrag aus Halfbrodt, Michael: Alexandre-Marius Jacob. Die Lebensgeschichte eines anarchistischen Diebes, Moers 1994

In seiner Verteidigungsrede vor Gericht liefert Jacob seine eigene Zusammenfassung der „illegalistischen“ Theorien: „Die Gesellschaft gewährte mir nur drei Existenzmittel: die Arbeit, die Bettelei und den Diebstahl. Die Arbeit widert mich keineswegs an, sie gefällt mir sogar. Der Mensch kann die Arbeit gar nicht entbehren; seine Muskeln, sein Gehirn verfügen über eine Menge Energie, die verausgabt werden will. Was mich aber anekelte, war, Blut und Wasser zu schwitzen für ein Almosen an Lohn, Reichtümer zu schaffen, die man mir vorenthalten würde. Kurzum, es hat mich angewidert, mich der Prostitution der Arbeit auszusetzen. Bettelei ist Erniedrigung, die Verneinung jeglicher Würde. Jeder Mensch hat ein Anrecht auf das Bankett des Lebens. Um das Recht des Lebens bettelt man nicht. Man nimmt es sich. Der Diebstahl, das ist die Rücknahme, die Wiederaneignung der Besitztümer. Anstatt in einer Fabrik eingesperrt zu sein wie in einem Bagno, anstatt um das zu betteln, worauf man ein Recht hat, habe ich es vorgezogen, mich aufzulehnen und meine Feinde Schritt für Schritt zu bekämpfen, indem ich gegen die Reichen Krieg führe und ihren Besitz angreife.“

Bereits 1886 begründet der Anarchist Clèment Duval (1844-1929), nachdem er die Villa eines Juweliers leert und versehentlich in Brand setzt, seine Taten mit dem Existenzrecht: „Jeder Mensch hat die Pflicht, dieses Recht in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen. Wenn die Gesellschaft ihm das Nötigste, was er zum Leben braucht, vorenthält, ist er berechtigt, es sich zu nehmen, wo es im Überfluß vorhanden ist.“

Warum ich Einbrecher geworden bin (1905)

Von Alexandre Marius Jacob

Messieurs:

Jetzt wissen Sie, wer ich bin: Ein Rebell, der von den Erträgen seiner Einbrüche lebt. Außerdem habe ich mehrere Villen abgefackelt und meine Freiheit gegen die Aggression der Agenten des Staates verteidigt.

Ich habe Ihnen mein ganzes Leben des Kampfes dargelegt und mache es zu einem Problem für Ihre Intelligenz. Da ich niemandem das Recht zugestehe, über mich zu urteilen, bitte ich weder um Verzeihung noch um Milde. Ich werde mich nicht an diejenigen wenden, die ich hasse und verachte. Sie sind der Stärkere, verfügen Sie über mich, wie Sie wollen. Schickt mich in eine Strafkolonie oder aufs Schafott. Es macht kaum einen Unterschied! Doch bevor wir uns trennen, möchte ich ein letztes Wort sagen…

Da Sie mich in erster Linie dafür verurteilen, ein Dieb zu sein, ist es sinnvoll zu definieren, was Diebstahl ist.

Meiner Meinung nach ist Diebstahl ein von allen Menschen empfundenes Bedürfnis, etwas zu nehmen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

Dieses Bedürfnis manifestiert sich in allem: von den Sternen, die wie Wesen geboren werden und sterben, bis hin zum Insekt im Weltraum, das so klein und so unendlich ist, dass unsere Augen es kaum erkennen können. Das Leben ist nichts als Diebstahl und Gemetzel. Pflanzen und Tiere verschlingen sich gegenseitig, um zu überleben.

Der eine wird nur geboren, um als Futter für den anderen zu dienen. Trotz des Grades der Zivilisation oder, besser gesagt, der Vollkommenheit, den er erreicht hat, ist auch der Mensch diesem Gesetz unterworfen und kann ihm nur durch den Tod entkommen. Er tötet sowohl Pflanzen als auch Tiere, um sich zu ernähren: Er ist unersättlich.

Abgesehen von den Nahrungsmitteln, die ihm das Leben sichern, ernährt sich der Mensch auch von Luft, Wasser und Licht. Aber haben wir jemals gesehen, dass sich zwei Menschen wegen der gemeinsamen Nutzung dieser Nahrungsmittel gegenseitig umgebracht haben? Nicht, dass ich wüsste. Dennoch sind dies die kostbarsten Güter, ohne die ein Mensch nicht leben kann.

Wir können mehrere Tage ausharren, ohne die Stoffe zu absorbieren, für die wir uns zu Sklaven machen. Können wir das auch, wenn es um Luft geht? Nicht einmal eine Viertelstunde lang. Wasser macht drei Viertel unseres Organismus aus und ist unentbehrlich, um die Elastizität unseres Gewebes zu erhalten. Ohne Wärme, ohne die Sonne, wäre das Leben völlig unmöglich.

Und so nimmt und stiehlt jeder seine Nahrungsmittel. Beschuldigen wir ihn, ein Verbrechen zu begehen? Nein, natürlich nicht! Warum unterscheiden wir dann zwischen dieser Art von Nahrungsbeschaffung und den anderen Methoden? Weil die anderen eine gewisse Anstrengung, ein gewisses Maß an Arbeit erfordern. Aber Arbeit ist das eigentliche Wesen der Gesellschaft, das heißt, der Vereinigung aller Individuen, um mit wenig Aufwand viel Wohlstand zu erlangen. Ist das wirklich Ihr Bild von dem, was existiert? Beruhen Ihre Institutionen auf einer solchen Organisationsform? Die Wahrheit beweist das Gegenteil.

Je mehr ein Mensch arbeitet, desto geringer ist sein Einkommen. Je weniger er produziert, desto mehr profitiert er. Verdienst wird nicht beachtet. Nur die Dreisten ergreifen die Macht und beeilen sich, ihre Raubzüge zu legalisieren.

Auf der sozialen Skala ist von oben bis unten alles nur Niedertracht auf der einen Seite und Idiotie auf der anderen. Wie können Sie erwarten, dass ich, durchdrungen von diesen Wahrheiten, einen solchen Zustand respektieren könnte?

Ein Schnapsverkäufer und der Chef eines Bordells bereichern sich, während ein genialer Mann an Armut in einem Krankenhausbett stirbt. Der Bäcker, der Brot bäckt, bekommt nichts; der Schuhmacher, der Tausende von Schuhen anfertigt, zeigt seine Zehen; der Weber, der einen Vorrat an Kleidern herstellt, hat nichts zum anzuziehen. Der Maurer, der Schlösser und Paläste baut, ringt in einer schmutzigen Hütte nach Luft.

Diejenigen, die alles produzieren, haben nichts, und diejenigen, die nichts produzieren, haben alles.

Ein solcher Zustand kann nur den Antagonismus zwischen der arbeitenden Klasse und der besitzenden, d.h. der nichts machenden, Klasse hervorrufen. Der Kampf bricht aus und der Hass schlägt zu.

Sie nennen einen Mann einen Dieb und Räuber; Sie wenden die Härte des Gesetzes gegen ihn an, ohne sich zu fragen, ob er etwas anderes sein könnte.

Haben wir jemals erlebt, dass ein Pensionär zum Einbrecher wurde? Ich gebe zu, dass ich so etwas noch nie erlebt habe. Aber ich, der ich weder Pensionär noch Gutsbesitzer bin, ich, der ich nur ein Mann bin, der nur seine Arme und seinen Verstand besitzt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, musste mich anders verhalten. Die Gesellschaft gewährte mir nur drei Möglichkeiten der Bestreitung meiner Lebenskosten: Arbeit, Betteln oder Diebstahl, erfreulich: Der Mensch kann nicht ohne Arbeit auskommen. Seine Muskeln und sein Gehirn besitzen eine Summe von Energie, die verbraucht werden muss. Was ich gehasst habe, war das Schwitzen von Blut und Tränen für einen Hungerlohn; das Schaffen von Reichtum, der mir nicht zugestanden wird.

Mit einem Wort, ich fand es abscheulich, sich der Prostitution der Arbeit hinzugeben. Betteln ist erniedrigend, die Missachtung jeglicher Würde. Jeder Mensch hat ein Recht auf das Festmahl des Lebens.

Das Recht zu leben wird nicht erbettelt, sondern genommen.

Diebstahl ist die Rückgabe, die Wiedererlangung von Besitz. Anstatt in einer Fabrik eingesperrt zu sein, wie in einer Strafkolonie; statt um das zu betteln, worauf ich ein Recht hatte, zog ich es vor, zu rebellieren und meinen Feind von Angesicht zu Angesicht zu bekämpfen, indem ich Krieg gegen die Reichen führte, indem ich ihre Güter attackierte.

Natürlich verstehe ich, dass Sie es vorgezogen hätten, dass ich mich Ihre Gesetze unterwerfe; dass ich als fügsamer und erschöpfter Arbeiter für einen miserablen Lohn Reichtum erzeugt hätte, und und wenn mein Körper erschöpft und mein Gehirn aufgeweicht wäre, wäre ich an einer Straßenecke gestorben. Dann hätten Sie mich nicht einen „zynischen Banditen“, sondern einen „ehrlichen Arbeiter“ genannt. Mit Schmeicheleien, hätten Sie mir sogar die Medaille der Arbeit verliehen. Priester versprechen ihren Betrogenen das Paradies. Sie sind weniger abstrakt: Sie bieten ihnen ein Stück Papier an.

Bild: Alexandre Marius Jacob

Ich danke Ihnen für so viel Güte, so viel Dankbarkeit, Messieurs. Ich möchte lieber ein Zyniker sein. der sich seiner Rechte bewusst ist, statt ein Automat, eine Karyatide.

Sobald ich mein Bewusstsein eroberte, gab ich mich ohne Skrupel dem Diebstahl hin. Ich halte nichts von eurer sogenannten Moral, die die Achtung des Eigentums als Tugend propagiert, wo es doch in Wirklichkeit keine schlimmeren Diebe gibt als Hausbesitzer.

Sie können sich glücklich schätzen, Messieurs, dass dieses Vorurteil im Volk Fuß gefasst hat, denn dadurch dient es als euer bester Gendarm. Im Wissen um die Ohnmacht des Gesetzes, der Gewalt, um es besser zu formulieren, habt ihr sie zu euren zuverlässigsten Beschützern gemacht. Aber Vorsicht: Alles währt nur eine gewisse Zeit. Alles, was durch List und Gewalt aufgebaut wird, kann durch List und Gewalt wieder zerstört werden.

Die Menschen entwickeln sich jeden Tag weiter. Seht ihr nicht, dass alle Hungernden, alle Notleidenden, in einem Wort: alle eure Opfer, sich bewaffnen, nachdem sie diese Wahrheiten gelernt haben, eure Häuser stürmen, um sich den Reichtum zurückzuholen, den sie geschaffen haben und den ihr ihnen gestohlen habt.

Glauben Sie, dass sie noch unglücklicher sein werden? Ich glaube das Gegenteil. Wenn sie sorgfältig darüber nachdenken würden, würden sie es vorziehen, alle möglichen Risiken einzugehen, anstatt Sie zu mästen, während sie im Elend ächzen.

Kerker … Strafkolonien … das Schafott„, wird man sagen. Aber was sind das für Aussichten im Vergleich zu dem Leben eines Tieres, das alles mögliche an Leiden mit sich bringt. Der Bergmann, der in den Eingeweiden der Erde um sein Brot kämpft und nie die Sonne sieht, kann von einer Minute auf die andere Opfer einer Explosion werden; der Dachdecker, der über die Dächer wandert, kann fallen und zertrümmert werden; der Seemann kennt den Tag seiner Abfahrt, weiß aber nicht, ob er in den Hafen zurückkehren wird. Viele andere Arbeiter erkranken bei der Ausübung ihres Berufes tödlich, verausgaben sich, vergiften sich, bringen sich um, um für Sie zu arbeiten. Selbst Gendarmen und Polizisten – Ihre Diener -, die für den Knochen, den Sie ihnen zu knabbern geben, manchmal im Kampf gegen Eure Feinde den Tod finden.

Sind Sie in Ihrem engstirnigen Egoismus nicht skeptisch, was diese Sichtweise angeht? Sie scheinen zu sagen, dass die Menschen Angst haben. Wir regieren sie durch Angst und Repression. Wenn sie schreien, werfen wir sie ins Gefängnis; wenn sie wanken, deportieren wir sie in eine Strafkolonie; wenn sie handeln, köpfen wir sie mit der Guillotine! All das ist schlecht durchdacht, Messieurs, glauben Sie mir. Die von Ihnen verhängten Strafen sind kein wirksames Mittel gegen die Revolte. Die Repression ist weit davon entfernt, ein Heilmittel oder auch nur ein Mittel zur Linderung zu sein, sie verschärft das Problem nur noch weiter.

Kollektive Maßnahmen schüren nur Hass und Rachegefühle. Das ist ein fataler Kreislauf. Auf jeden Fall, seit Ihr die Köpfe abgehackt habt, seit ihr die Kerker und Strafkolonien bevölkert, habt ihr da verhindert, dass sich der Hass manifestiert? Sagt etwas! Antwortet! Die Tatsachen zeigen eure Ohnmacht.

Ich wusste sehr wohl, dass mein Verhalten nur mit dem Zuchthaus oder dem Schafott enden konnte, was mich aber nicht davon abhielt, zu handeln. Wenn ich mich dem Diebstahl hingab, so war das nicht eine Frage des Gewinns, des Geldes, sondern eine Frage des Prinzips, des Rechts. Ich wollte lieber meine Freiheit, meine Unabhängigkeit, meine Würde als Mensch bewahren, als mich zum Handlanger des Reichtums eines anderen zu machen. Um es grob und ohne Euphemismen zu sagen: Ich wollte lieber rauben, als beraubt werden!

Natürlich verurteile auch ich den Akt, durch den sich ein Mensch gewaltsam und durch List die Früchte der Arbeit eines anderen aneignet. Aber gerade deshalb habe ich den Reichen, den Dieben der Güter der Armen, den Kampf angesagt. Auch ich möchte in einer Gesellschaft leben, aus der der Diebstahl verbannt ist. Ich habe den Diebstahl nur als das

Mittel der Revolte begrüßt und eingesetzt, das am besten geeignet ist, um den ungerechtesten aller Diebstähle zu bekämpfen: das individuelle Eigentum.

Um eine Folge zu zerstören, muss man zuerst die Ursache zerstören. Wenn es Diebstahl gibt, dann nur, weil es auf der einen Seite Überfluss und auf der anderen Hungersnot gibt; weil nämlich alles nur einigen gehört Der Kampf wird erst dann verschwinden, wenn die Menschen ihre Freuden und Leiden, ihre gemeinsame Anstrengungen und ihren gemeinsamen Reichtum teilen. Wenn alles allen gehören wird.

Revolutionärer Anarchist, ich habe meine Revolution gemacht: Vive l’Anarchie!

Für Germinal, für dich, für die Sache.

Alexandre Marius Jacob