Nein zum immerwährenden Ausnahmezustand gegen unsere Kämpfe und Bewegungen (zur Situation von Cesare Battisti)

Wir hatten ja schon häufiger Texte von und zu Cesare Battisti im Heft, der Genosse befand sich im Sommer letzten Jahres im Hungerstreik gegen seine Sonderhaftbedingungen. Alle Übersetzungen seiner Texte von uns findet ihr hier. Drei alte italienische Genossen haben nun eine Petition zur Situation von Cesare gestartet und auch wenn wir nicht gerade Freunde von Petitionen sind, teilen wir doch diesen Text, u.a. weil er einer der wenigen Initiativen zur Unterstützung von Cesare Battisti darstellt. Zu den Initiatoren: Tiziano Loreti ist mittlerweile bei der Basisgewerkschaft Si Cobas aktiv, ein Interview mit ihm bei Labournet TV, Nico Maccentelli haben wir schon für die Sunzi Bingfa übersetzt, ebenso wie Giovanni Iozzoli. Sunzi Bingfa

Die Erinnerung an die Gegenwart

In den letzten Wochen hat die Nachricht von der Herabstufung des Haftregimes, dem Cesare Battisti unterworfen ist, von „Hochsicherheit“ auf „mittel“, die übliche reaktionäre und ‘hängt-ihn’-Dogmatik ausgelöst, die Battistis Angelegenheiten immer begleitet hat. Es versteht sich von selbst, dass diese Maßnahme kein Element der Gnade darstellt: Die DAP (Abteilung Gefängnisverwaltung, d.Ü.) hat präzisiert, dass es sich um einen ordnungsgemäßen Akt handelt, der sich vollständig innerhalb der geltenden Verfahrensvorschriften bewegt und weder den Status von Battisti „normalisiert“ noch die Vollstreckung seiner Strafe beeinträchtigt

Die Inbrunst, mit der das ‘zivilisierte lebendig-Begraben’ Battistis gefordert wird, geht über seine Biografie oder sein Strafregister hinaus – wenn man bedenkt, dass das letzte Verbrechen, dessen er beschuldigt wird, 43 Jahre zurückliegt und die Organisation, in der er aktiv war, 1980 aufgelöst wurde! Die Tatsache, dass Battisti in den letzten Jahren zu einem Symbol der ‘politischen Kriminalität’ geworden ist, dass man ihn gejagt und wie eine Beute vorgeführt hat, dass man eine Verschärfung seiner lebenslangen Haftstrafe gefordert hat, offenbart zwei Elemente, die in unserer Gegenwart chronisch geworden sind:

1) Die unbewältigte Erinnerung an den sozialen Konflikt der 1970er Jahre – insbesondere in seiner bewaffneten Komponente – ist immer noch eine offene Wunde, mit der Italien nicht fertig geworden ist.

2) Strafrechtliche Sanktionen, insbesondere bei Verstößen gegen die bestehende Ordnung, sind weiterhin die vorherrschende Antwort in einem alternden Land, das eine Barbarisierung des Rechts, des Justizsystems, des Gefängnisses ( im Gefolge der Massaker) und vor allem der sozialen Beziehungen und der Räume der Demokratie und des Konflikts erlebt.

Diese Elemente sind kennzeichnend für ein Regime, das uns jenseits aller Zurückhaltung in einen permanenten Ausnahmezustand zwingt, mit Ausnahmegesetzen, gewerkschaftspolitischen Repressionen, mit Schlägen gegen Arbeiter, die sich wehren (der Fall von Modena und Piacenza [1] ist emblematisch, wo vor Gericht versucht wird, das Streikrecht auf ein Verbrechen zu reduzieren), mit der Durchsetzung von Krieg und Kriegswirtschaft, die den Weg zur Massenverarmung ebnen.

Die Tatsache, dass die Angriffe auf die Erinnerung an die 1970er Jahre von den Erben der fiamma missina [2] ausgehen, macht die Parabel dieses Landes noch paradoxer und trauriger. Wir sind sicher, dass die piddini (? d.Ü.), die diverse Mitläufer und Garanten des ‘politischen Wechsels’ die Empörung von missina teilen.

Aus all diesen Gründen bedeutet der Widerstand gegen die Hetzkampagne gegen Cesare Battisti, gegen die arbeiterfeindliche, kriegstreiberische und autoritäre Tendenz zu kämpfen, in die wir geführt werden: Unterstützung des heutigen sozialen Widerstands gegen die Wiederaufrüstung, die Carovita (Inflationsspirale, d.ü), die Verwüstung von Gebieten, von No MUOS [3] bis zum Val di Susa, für einen neuen konfliktfähigen Gewerkschaftsgeist.

Ebenso müssen wir den politischen und kulturellen Kampf um das antagonistische Gedächtnis wieder aufnehmen, das unser Erbe ist, ein Erbe, das in vollem Umfang beansprucht werden muss und bei dem die Klassenlinken zu oft Zurückhaltung oder Nachlässigkeit gezeigt haben. Wenn wir uns nicht erinnern und unsere Geschichte erzählen, werden es andere an unserer Stelle tun: gegen unsere Gründe und gegen jede Möglichkeit, das Bestehende zu verändern.

Tiziano Loreti – Nico Maccentelli – Giovanni Iozzoli

[1] zu der Repression gegen Basisgewerkschaften siehe https://www.woz.ch/2231/italienische-basisgewerkschaften/kaempfe-lassen-sich-nicht-verbieten, sowie https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/07/19/konfliktbereite-gewerkschaften-unter-beschuss-der-krieg-der-bosse-gegen-die-sozialen-kaempfe-italien/

[2] Gemeint sind die Erben der faschistischen MSI, die ja gerade als Fratelli d’Italia (FdI) die Wahlen in Italien gewonnen haben.

[3] Widerstand gegen ein strategisches Militärtechnologie Projekt auf Sizilien https://www.imi-online.de/2014/08/04/no-muos-gegen-die-entwicklung-neuer-kriegstechnologien-und-fuer-eine-demilitarisierung-siziliens/