Streik in Kolumbien: Die Straße fragt nach

Víctor de Currea-Lugo

Der Zyklus der Revolte ist nach Kolumbien zurückgekehrt. Nach den massiven sozialen Streiks im Jahr 2019 setzte Iván Duque, eine Marionette des ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe, das neoliberale Reformprogramm in einem Land fort, in dem viele Menschen an Hunger und unter der Gewalt der paramilitärischen Todesschwadronen, Drogenkartells und des Staates leiden. Es gehört eine Menge Mut dazu, in Kolumbien auf die Straße zu gehen, wo mehr Menschen getötet wurden und/oder verschwunden sind als in den dunklen Zeiten der Militärherrschaft in Brasilien, Argentinien und Chile zusammen. Der Staat antwortet auf den Aufstand mit weiteren Morden und Entführungen, aber die Menschen haben ihre Angst verloren und gehen weiterhin auf die Straße. Aufgrund der massiven Gewaltspirale riskieren Menschen ihr Leben, wenn sie politisch aktiv sind oder auch nur politische Themen jenseits des staatlichen Narrativs diskutieren. Viele Menschen auf der Straße denken immer noch innerhalb den Rahmen des aktuellen politischen Systems, aber die Fragen und Aktionen auf der Straße zeigen, dass sich dies langsam ändert. Die Primera Linea ist längst akzeptiert, denn viele Menschen haben erkannt, dass sie sich vor staatlicher Gewalt schützen müssen.Im folgenden Beitrag hat der unabhängige Journalist Víctor de Currea-Lugo die vielen Fragen dokumentiert, die die Menschen auf den kolumbianischen Straßen haben. Wir haben diese Fragen übersetzt. Die Bilder sind von unabhängige Medien Kollektiv ‚Medios Libres Cali‘. Sunzi Bingfa.

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Ghost Town

Maxwell Q. Klinger

Die ersten etwas wärmeren Nächte in Kreuzberg, kurz vor Beginn der Ausgangssperre. Die Gehwege sind ausgestorben, aus einem vorbeifahrenden Auto dröhnen traurige türkische Schmachtfetzen in vollem Bass, trotzig aufreizend. Ein Fuchs patrouilliert durch das Hochhausghetto als sei es das selbstverständlichste der Welt. Ein paar türkische Jungs huschen um die Ecke, nicht allzu eilig, niemand soll auf falsche Gedanken kommen. Ein Schlenker in die Oranienstraße, fast wie früher am 1. Mai um drei Uhr Nachts, nur Türken und Outlaws. Bloß die Punks fehlen. Und die Bullen. Man sieht praktisch keine Bullen. Das ist das, was am meisten irritiert. Sie sind sich ihrer Sache so sicher, dass sie sich gar nicht mehr zeigen müssen. Vor einem hell erleuchteten Laden, der türkische Spezialitäten verkauft, stehen zu zweit oder dritt ein paar Jungs Anfang Dreißig, quatschen ein bisschen, hängen ab. Stehen da im hellen Licht, jeden Abend, wir sind noch da, kommt doch. Vielleicht gibt es etwas Streit, oder auch ein bisschen Bußgeld, das dürfte es ihnen wert sein, auf Schlägerei ist hier keiner aus, einfach nur ein bisschen zeigen, dass sie noch da sind. Sich und den Bullen. Die kommen aber nie, nehmen einfach keine Notiz. Fast schon kränkend.

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Für eine Untersuchung der Autonomia

Sergio Bologna

Folgendes Interview führte Patrick Cuninghame (2) mit Sergio Bologna (1 und 3) 1975 in Mexiko City. Es erschien 2000 auf ‘Left History’, übersetzt hat es Bernd Hüttner vom Archiv der sozialen Bewegung Bremen. Die Anmerkungen gekennzeichnet mit d.Ü. stammen von ihm. Wir haben den Text auf copyriot.com gefunden und leicht bearbeitet und setzen damit unsere lose Reihe zu den antagonistischen Bewegungen in Italien der 70er fort. Wir veröffentlichen diesen Text auch vor dem Hintergrund der jüngsten Festnahmen in Frankreich, bei denen 10 Genoss*innen aus den Kämpfen in dem Italien der 70er festgesetzt wurden, mit dem Ziel sie nach Italien auszuliefern. Siehe dazu auch diese beiden Berichte: Eins und Zwei. Im Original finden sich in den Fußnoten auch Verlinkungen, die wir aber weggelassen haben, da die verlinkten Quellen teilweise nicht mehr existieren. Sunzi Bingfa

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Revolte und Repräsentation: Die Bedeutung der Chicano Riots

Herbert Marcuse (1044)

Auf der Website des Bureau of Public Secrets(Büro für öffentliche Geheimnisse) haben wir den folgenden Text gefunden. Er wurde als Pamphlet im Oktober 1970 veröffentlicht. Unterzeichnet „von Herbert Marcuse“. Aber in Wirklichkeit wurde es von der Situationistische Gruppe „1044“ aus Berkeley (Kalifornien) geschrieben. 700 Exemplare wurden in Umlauf gebracht, einige in Los Angeles und San Diego. Herbert Marcuse arbeitete in der Zeit an der Universität von San Diego und reagierte in der Triton Times (Studentenzeitung der Universität von Kalifornien in San Diego) genau so, wie die Situationisten es sich erhofft hatten:

Ein Pamphlet mit dem Titel „Revolte und Repräsentation: Die Bedeutung der Chicano [1] Riots von Herbert Marcuse“ wird auf dem Campus verteilt. Dieses Pamphlet ist eine klare Fälschung. Ich habe es weder geschrieben noch zu seiner Erstellung beigetragen, noch weiß ich, wer dafür verantwortlich ist.

Herbert Marcuse

Professor Avrum Stroll wies darauf hin, dass das Pamphlet „offensichtlich dazu gedacht war, Herbert [Marcuse] in Verlegenheit zu bringen.“ – Das ist sicher richtig, aber der Text ist vor allem eine Kritik am „traditionellen“ linken Protest, seinen Methoden, Forderungen und seiner Distanz zu den Bedingungen, unter denen viele marginalisierten Menschen leben. Spontane Revolten werden immer noch missverstanden. Heute vielleicht sogar mehr als je zuvor. Obwohl der Text mehr als 50 Jahre alt ist, ist er immer noch aktuell, die Reaktionen großer Teile der Linken hierzulande auf die Riots in den französischen Banlieues, auf die Gilets Jaunes in Frankreich, oder auch die Corona-Riots im letzten Jahr in Stuttgart zeigen, dass diese Distanz heute größer ist als je zuvor… Sunzi Bingfa

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